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Esskultur und Sprache

Alles Käse? Eh Wurscht
Vom traurigen Dasein des Essens in der deutschen Sprache
Feature von Daniele Dell’Agli
Bearbeitung: Ulrich Gerhardt

Ein Rundfunkprogramm von Deutschlandradio Kultur 2006

Sprecher 1 K
Sprecherin Ä
Sprecher 2 S
Autor E

Neue Farbe (Buchstabe) – neue(r) Sprecher(in).

Die Notierung der Sprecherwechsel folgt der Vorstellung, dass der Fluss des Textes im Sinne des Geschriebenen erhalten bleiben muss, elastisch, nahtlos, mühelos, oder eben – musiziert.


E Es ist mir egal, was ich zum Frühstück esse, Hauptsache, es ist immer dasselbe.

Ludwig Wittgenstein

K Wenn der Mensch nach einem Spruch Feuerbachs „ist, was er isst“, so müsste Ludwig Wittgenstein Bauer sein und nicht Philosoph – getreu der Devise „was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht“. Ä Doch abgesehen davon, dass auch Philosophen S – Feuerbach inbegriffen – Ä Gewohnheitstiere sind – K und es in Österreich sicher Bauern gibt, die Wittgenstein heißen – Ä ist es mit dem Wahrheitsindex solcher Redewendungen etwas vertrackter, als es zunächst den Anschein hat. S Denn zwischen Essen und Sein vermittelt ein Bindeglied, das letztlich darüber entscheidet, wie das, was der Mensch isst, Teil seines Selbstverständnisses als Mensch und damit seines Seins wird: E die Sprache.

K Zwar verdanken sich die konkreten Praktiken und Vorlieben an Herd und Tisch materiell den verfügbaren Ressourcen von Klima und Boden, Portemonnaie und Technologie; Ä doch sie geben nicht vor, welche Bedeutung der Mensch ihnen verleiht und was für eine Kultur er daraus entwickelt.

E Einzig die Sprache gibt darüber Auskunft, wie der Mensch isst, und weil dieser immer schon gegessen und gesprochen hat, wenn er ein Mensch geworden ist, spielt das jeweils aktuelle Gerede übers Essen für seine organoleptische Biographie eine nur untergeordnete Rolle; Ä entscheidend S – und für den Beobachter verräterisch – Ä ist die idiomatische Metaphorik, die sich im Laufe der Generationen in einem Sprachkörper sedimentiert hat, K und zwar dadurch, dass die kulinarisch besetzten Begriffe in andere Kontexte auswanderten und dank ihrer einprägsamen Bildlichkeit weitgehend unbewusst den gastronomischen Zusammenhang noch Jahrhunderte nach ihrer Entstehung zu steuern vermögen: E „an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“.

S Wen erkennen? Oder was?

E Die Mentalität natürlich!

Ä Fangen wir also mit dem Frühstück an: kann es ein liebloseres, ein nüchtern-pragmatischeres, ein phantasieloseres Wort für das erste K (und für Deutsche angeblich wichtigste) Mahl des Tages geben? Ä Ein „frühes Stück“ - wovon? Holz? Pappe? Leder?

E Man stelle sich im Italienischen „un primo pezzo“ oder „un pezzo mattutino“ vor! Ä Oder ist vielmehr „ein Stück Frühe“ gemeint? E Also ein Stück des Tagesanfangs herausgebrochen und – verbraucht? K Dafür würde die despektierlich gebrauchte Verbalisierung verfrühstücken sprechen, mit der man bissig-scherzhaft das vorzeitige und gierige Aufbrauchen von Mitteln Ä (z.B. Spesen) K bezeichnet.

Ä Ursprünglich ist der „erste Bissen“ des Tages damit gemeint gewesen: es wurde vom Brot ein Stück abgebrochen und reingeschoben, wie die Kids heute zu sagen pflegen. K Dass mit dem Brot nie zimperlich verfahren wurde, belegen die etymologisch verwandten Brocken, Klumpen und Stulle zur genüge.

S Schnitte und Scheibe bezeugen zwar mittlerweile den Einzug des Brotmessers in deutsche Haushalte, an der Einstellung zur Sache dürften sie nichts geändert haben. E Und so ganz ohne Zutaten wird das Brot selbst in den ärmsten Haushalten nicht verdrückt: S in der Regel kriegt man etwas aufs Brot geschmiert, Ä was allerdings idiomatisch weder Pastete noch Marmelade meint, sondern Vorwürfe, unliebsame Wahrheiten, unangenehme Neuigkeiten und dergleichen Appetithäppchen mehr S (und das beileibe nicht nur zum Frühstück, auch das asketische Abendbrot will mit derlei Tagesbilanzen garniert sein).

K Kein Wunder, dass man dem unliebsamen Tischnachbarn wünscht, der Bissen möge ihm Ä (z.B. vor Beklemmung) K im Halse steckenbleiben; Ä und keine Überraschung, dass es zwar die Redewendung schlecht gefrühstückt haben fürs Verbreiten schlechter Laune gibt, aber kein kulinarisches Pendant fürs Gegenteil, K für Sonnenschein und „good vibrations“. E Schon zum Frühstück begegnet uns also eine Unart der deutschen Sprache: Übertragungen aus dem Bereich des Essens fast durchgängig pejorativ zu benutzen. S Die damit vorgezeichnete miese Stimmung kann dann nur noch durch Übelkeitsanfälle gesteigert werden, was dann im Volksmund rückwärts frühstücken genannt wird.

E Ungeachtet dieser Aussichten werden wir im Folgenden nun ein idiomatisches Tagesmenü quer durch alle Mahlzeiten, Gänge und Naschgelegenheiten servieren, wobei sich hier auch die materiale Würdigung einiger Grundlagen unserer sinnlichen Erfahrung nicht vermeiden lässt, so sie etwas zum Verständnis ihrer meist unfreundlichen sprachlichen Verarbeitung beizutragen verspricht.

Ä Das erste Stück, K der erste Bissen des Tages, Ä gehört also traditionell dem Brot, daran hat auch die schwankende Müsli-Konjunktur nicht viel geändert.

E Viel verbraucht, wenn auch wenig geliebt sind in Deutschland einfallslos und fade gebackene weiße, grauweiße oder graugraue Lappen oder Leiber aus Weichweizen oder Roggen mit einer hauchdünnen Kruste, die meist schon vor dem Erkalten eine gummiartige Konsistenz annimmt und eher einer feuchten Rinde oder Schale ähnelt. Ä Denn „frisches“ Brot ist in Deutschland niemals „knusprig“, sondern zunächst einmal feucht: S sogar Ciabatta und Baguette muss man daheim nachbacken, ja selbst – Ehre wem Ehre gebührt – das einzigartige deutsche Vollkornbrot klebt an der dünnen Ökoumschlagfolie fest und muss, schon um Magenblähungen zu vermeiden, erst einmal zum Trocknen 10 Minuten bei 50°C in den Ofen. E Und sollte der Bäcker einem ausnahmsweise ein krachend bissfestes Brötchen über den Tresen reichen: entweder es zerkrümelt beim ersten Versuch, es aufzuschneiden oder es ist bereits auf dem kurzen Weg bis zum Frühstückstisch zu einer labbrigen Pappe verkommen. Ä In beiden Fällen haben wir es dann mit einer Fertigbackmischung zu tun, die entweder zu lang oder zu kurz, S bei zu hoher oder zu niedriger Temperatur im Ofen verweilte, Ä wobei es das richtige Maß bei dieser Industrieware prinzipiell nicht gibt.

K Dass offenbar niemand in Deutschland an dieser Barbarei Anstoß nimmt, kann man wohl nur als Symptom einer zahnlosen Kultur werten, die selbst halbverbranntes „Krustenbrot“ am liebsten unzerkaut hinunterschlingen möchte und dafür dem Grundnahrungsmittel par excellence – gleichsam zur Entschädigung – ein Museum, nämlich das Brotmuseum in Ulm errichtet hat.

S Die Sprache ist da weniger höflich und hat seit jeher für die Nullachtfünfzehn-Semmeln so schmeichelnde Ausdrücke wie Wecken, Schrippen, Knüppel oder norddeutsch – passend zum Frühstück und der Abstraktion von allen sinnlichen Qualitäten – Rundstücke eingebürgert. K Überhaupt scheint sich die Kategorie „Grundnahrungsmittel“ hierzulande nicht nur sprachlich von jeder weiteren Mühe und Phantasie der Verarbeitung zu befreien, Ä Motto: was man ohnehin essen muss, braucht nicht weiter veredelt zu werden. K Brot hat daher – S ähnlich wie Kartoffeln und Nudeln – K lediglich als Sättigungsbeilage zu dienen und als solche sich nicht eigens geschmacklich oder haptisch in den Vordergrund zu drängen. E Einen herzensguten Menschen wie im französischen bon comme le pain mit dem Brot zu vergleichen, käme einem Deutschen nie in den Sinn. Immerhin konnte sich im süddeutschen Raum ein Analogon zum französischen Bild für reißenden Absatz se vendre comme des petits pains einbürgern: weggehen wie warme Semmeln. S Ansonsten gilt: wer selbst einem geregelten Broterwerb nachgeht – K oder eben im Schweiße seines Angesichts seine Brötchen verdientS hat volles Verständnis dafür, dass noch der entlegenste Handwerksbetrieb ihm Fertigbackmischungen für den unvermeidlichen Auftakt des täglichen Stoffwechselzyklus anbietet, also buchstäblich kleine Brötchen backt und sich im übrigen von jeder brotlosen Kunst fernhält. E Das würde in Italien schon idiomatisch auf Widerspruch stoßen: für „Gleiches mit Gleichem vergelten“ sagt man dort nämlich: render pan per focacciaK etwa: Brot mit Fladen vergelten – E ein Ausdruck, der vom hohen sozialen Satisfaktionsindex des Brotes zeugt. Ä Und wer eine nicht ganz gelungene Arbeit mit dem fehlenden Loch in der Mitte von Kringeln oder Kranzkuchen vergleicht – E non tutte le ciambelle riescono col buco S (auf deutsch: „nicht jeder Schuss ein Treffer“) E – bekennt sich vor allem zum Perfektionismus auch beim Backen.

Ä Im Gegensatz zum notwendigen Brot stellt der Kuchen – um bei den Backwaren zu bleiben – einen veritablen Luxus dar: S wer in der Lage ist, sich den Kuchen zu teilen, hat bereits einen Gewinn erwirtschaftet; Erben streiten sich gern um ein Stück vom Kuchen der Hinterlassenschaft. E So weit, so gut und auch im internationalen Vergleich vertretbar (K vergleiche vouloir sa part du gâteau – nahezu bedeutungsgleich), E wenngleich linksrheinisch mit c’est du gâteauK „das ist kinderleicht, spielend zu schaffen“ E – eine ganz andere Welt fern deutscher Buttercrememassive und Kalorienklötze winkt.

Ä Wäre da nicht Pustekuchen!: S eine Sprachgebärde, die als Replik eingesetzt wird, um dem Gesprächspartner eine Abfuhr zu erteilen Ä etwa im Sinne von „denkste!“ oder „nichts da!“ S und sein Anliegen als null und nichtig zu disqualifizieren. K Dass hierfür der Kuchen herhalten muss, offenbart dann doch wieder das asketische Ressentiment, das im protestantischen Kulturkreis immer schon Luxus und Überflüssiges gleichzusetzen pflegt. Ä Nicht viel besser ergeht es dem Keks, der es gerade noch zum ScherzkeksK für einen Witzbold –

Ä bringt, und dessen Besitz mundartlich eher ein eklatantes Defizit anzeigt: S du hast ja n’ Keks diagnostiziert die vox populi, wenn einer „sie nicht mehr alle hat“; K gemeint sind Sinne und Verstand.

Ä Und auch bei den Keksen fällt des Deutschen Liebe für Mürbeteig und Mürbegebäck auf: S ob Kipferl oder Taler, Spritzgebäck oder jener schokoladenüberzogene Eischaum mit Waffelboden, der seit einiger Zeit nicht mehr Negerkuss, dafür aber ungeniert Schwedenbombe genannt werden darf

K (wo sich kein schlechtes Gewissen regt – sind doch die Schweden unter Gustav Adolf im dreißigjährigen Krieg über deutsche Gebiete hergefallen – braucht offenbar nicht die Keule des politisch korrekten Artenschutzes geschwungen zu werden) -: S sie alle haben marzipanig widerstandslos im Munde zu zergehen, als zählten nur Greise und Säuglinge zu ihren Endabnehmern. Ä Dafür werden „Deutsche Doppelkekse“, K vulgo „Prinzenrolle“ genannt – und ebenso wie die „Deutschen Butterkekse“ bekanntlich von de Beukelaer 1870 aus Antwerpen eingeführt – Ä derart heißluftgetrocknet, dass sie bei ungeschicktem Öffnen der Verpackung mitsamt Füllung in pfefferkorngroße Krümel zerbröseln, die dann ebenfalls mühelos ohne Vorbehandlung die Speiseröhre passieren können. E Verständlich, dass sich italienisches Gebäck wie Cantuccini, Torrone oder Panforte nicht wirklich durchgesetzt hat und die Amarettini natürlich nur in einer gaumenschonenden Mürbefassung.

K Verallgemeinert wird dieses Konsistenzideal idiomatisch mit dem Prädikat erste Sahne für das Nonplusultra an Qualität. S Sieht man davon ab, dass absahnen gern für einen mindestens sittenwidrigen Akt cleverer Aneignung eingesetzt wird, K könnten wir mit der Sahne ausnahmsweise sogar ein Beispiel für aufwertenden Eigenschaftstransfer aus dem kulinarischen Kontext verbuchen; S doch leider gehört zu dessen Voraussetzungen nicht nur die Hochschätzung des fetthaltigsten Anteils der Milch als Inbegriff von Süße und Reinheit, K sondern auch die Freude am sahnigen Gleiten der Speisen, Ä also wiederum an der Ausschaltung der Kauwerkzeuge beim Essen. E Den herzhaften Biss reservieren sich Deutsche allenfalls fürs Fleisch, ansonsten mögen sie auch das Gemüse am liebsten verkocht und, wo es nur irgend geht, zusätzlich mit Sahne verschmiert.

Ä Neben der Sahne erfreut sich nur noch die Butter einer vergleichbar positiven linguistischen Resonanz. So hält sich ungeachtet aller Warnungen vor ihrem Fettgehalt die Wendung jemandem die Butter vom Brot nehmen als Umschreibung einer existentiellen Bedrohung, E während umgekehrt ein Problem oder eine Aufgabe erst zur vollen Zufriedenheit gelöst sind, wenn alles in Butter ist. S Und obwohl ihre physische Substanz Anlass zu psychologischer Ambivalenz bietet – Ä butterweich ist nicht nur das zarte Steak, sondern auch der rückgratlose Charakter, K und was wie Butter an der Sonne zerrinnt trägt meist Züge eines unverhofften Verlusts – S ist sie bei Verhandlungen nach wie vor Inbegriff substantieller Vorschläge: Ä Butter bei die Fische bringen fordert man an deutschen Küsten inkorrekt auf, wenn es darum gehen soll, ein ernstzunehmendes Angebot vorzulegen. S Überhaupt scheint sich Butter als Medium für sozialen Konfliktstoff zu eignen: Ä jemandem die Butter nicht aufs Brot gönnen S ist Ausdruck von Neid und Missgunst; und als Überlegenheits-, ja Triumphausweis gilt, wenn man jemanden E (mit Rücksicht auf den Binnenreim bildschief) S unterbuttert. Ä Wer die Butter zur Abwechslung einmal ein bisschen dick oder gar zu dick aufträgt, macht es andererseits auch niemandem recht und setzt sich dem Verdacht des Schmalzigen aus. E So oder so: phraseologisch kriegt in Deutschland jedes Lebensmittel sein Fett ab, seine Strafe für... – S ja wofür eigentlich?

 

K „In jeden Quark begräbt er seine Nase“

Goethe, Faust I, Prolog im Himmel

S Bei solch einem halbwegs gediegenen Leumund von Butter und Sahne erstaunt es dann doch, dass andere Milchprodukte die denkbar verächtlichsten Übertragungen erfahren. Ä Allein die Belege für die Diffamierung des Käse würden reichen, die Erbfeindschaft zwischen Deutschland und Frankreich zu erhellen. E „Alles Käse!, Ä Das ist doch Käse! S So ein Käse!K (wahlweise Quark) E sind als beliebte Idiome für Unsinn, Quatsch oder Mist bezeichnenderweise nur noch im angelsächsischen Raum anzutreffen K (That’s Cheese!).

Ä Sprachforscher erklären die Geringschätzung des Käse historisch aus dem Umstand, dass dieser in ländlichen Gebieten immer leicht herzustellen und zu beschaffen war und so zum Synonym für Wertloses oder Geringfügiges – wie etwa ein Käseblatt oder ein Dreikäsehoch – werden konnte. E Zum Assoziationsfeld des Käse gehört ferner eine breiige farb- und geschmacklose Masse von gummiger Konsistenz K (hierfür muss die berüchtigte Harzer Rolle Pate gestanden haben), E in der etwas zur Ununterscheidbarkeit verrührt oder geronnen erscheint, K woraus offenbar nicht nur das Vorbild für kränkelndes Aussehen – E käsiger GesichtsausdruckK sondern vor allem das tertium comparationis für sinnlose Aussagen gewonnen wurde. S Entsprechend fordert man mit mach keinen Käse! zur Unterlassung eines Unfugs auf. Ä Seltsam nur, dass bereits im Alpenraum die leichte Verfügbarkeit des Rohstoffs S – der Milch Ä – als Ansporn für höchst differenzierte Veredelungskünste betrachtet wurde.

S Konsequenterweise übernimmt in Österreich der Schmarren idiomatisch die Funktion von „Käse“ qua „dummes Zeug“, Ä und in der Schweiz wird man schwerlich Leute finden, denen zu löchrigen Verkleidungen oder durchlöcherten Leichen notorisch „Schweizer Käse“ einfällt.

E Einmal mehr verrät die deutsche Sprache, dass die Angehörigen ihres Einzugsbereichs dazu neigen, Lebensmittel vorwiegend zur Deckung des Kalorienbedarfs herzustellen und sie in entsprechend genervter Haltung – S als gelte es eine lästige Pflicht so automatisch wie unauffällig zu absolvieren – E auch zu verzehren: „Hauptsache, es ist immer dasselbe“.

K Schließlich ist der Mensch zu Höherem als der Befriedigung von Grundbedürfnissen bestimmt: S das ist spätestens seit Immanuel Kants Abkanzelung von Geruch und Geschmack im berüchtigten § 19 seiner „Anthropologie“ die Devise einer Esskultur, die mit solch einer Mentalität gar nicht anders kann, als uninspiriert minderwertige Produkte herzustellen und diese anschließend zu diffamieren. Ä Nur so ist letztlich die Geschmacklosigkeit zu erklären, dass der Käse in den Komposita Käsequanten und Käsefüße auch noch als metaphorisches Substrat übler Gerüche herhalten muss K (und das ausgerechnet im Land allgegenwärtiger Kohlausdünstungen). Ä Zwar bemüht man in Frankreich alten Camembert, in Norditalien Parmesan oder Stracchino für den Gestank abgetragener Socken, S aber die regional differierenden und stets nur bestimmte Sorten betreffenden Vergleiche sind nie fester Bestandteil einer nationalen Umgangssprache geworden. E Nur im Deutschen wird der Käse als solcher und in toto olfaktorisch denunziert, gärt und schimmelt der Sprachdämon wie unter der Käseglocke der Gelegenheit entgegen, zum Nachteil sämtlicher Milchgerinnungsprodukte gelüftet zu werden, bis sie in Wendungen wie das geht dich einen Käse an! oder deutlicher noch das ist breitgetretener Quark mit dem Kehricht überhaupt gleichgesetzt werden.

S Überboten werden diese Ekelkonnotationen einer schmackhaften Speise nur noch durch die analen Phantasien, die Kakao in der Wendung durch den Kakao ziehen Ä (für veralbern, genauer: „verscheißern“) S als Deckname für Kacke und Mostrich als Euphemismus für Scheiße missbrauchen. K Dass der Mostrich im Land der Würstchenfresser so negativ besetzt ist, überrascht allerdings: jemanden mit Mostrich bestreichen heißt soviel wie übervorteilen; Mostrich auf der Pupille haben: nicht klar sehen; mit Mostrich geimpft sein: nicht bei Verstand sein. E Der Verdacht liegt nahe, dass darin die Abneigung gegen jede Art von Würze zum Ausdruck kommt, wie sie auch in den Wendungen S geh doch ins Land, wo der Pfeffer wächst, K seinen Senf dazugeben Ä oder seine Soße drüberkippen (für Pauschalurteile) E begegnet. K Wenn es stimmt, dass Sprachbilder die Sinneserfahrung unbewusst lenken, dann wird verständlich, warum jemand, der von früh auf lernt, dass Käse stinkt, dass es aufdringlich ist, seinen Senf dazuzugeben oder dass gesalzene bzw. gepfefferte Rechnungen

S (ungeachtet ihrer merkantilen Vorgeschichte) überhöht und eigentlich unzulässig sind, Ä lebenslang kein entspanntes Verhältnis zu würzigen oder intensiven Geschmacksträgern entwickeln E und im Zweifelsfall sich stets fürs fade – Ä oder eben stinknormaleE Mittelmaß entscheiden wird.

 

S „Aber die deutsche Küche überhaupt – was hat sie nicht alles auf dem Gewissen!... die ausgekochten Fleische, die fett und mehlig gemachten Gemüse; die Entartung der Mehlspeise zum Briefbeschwerer!“

Friedrich Nietzsche

E Suppe ist eine Suppe ist eine Suppe – möchte man frei nach Gertrude Stein anstimmen und alles weitere dem Geschmacksurteil des jeweiligen Probanden überlassen. Ä Wenn das so einfach wäre! K Denn leider ist eine Suppe in der deutschen Umgangssprache zunächst und vor allem ein selbstverschuldetes Ungemach, etwas, das man sich einbrockt S (ursprünglich indem man zuviele Brotbrocken hineinbrach) K und dann auch alleine auslöffeln muss, Ä was insofern nicht weiter tragisch ist, als in Deutschland ohnehin jeder sein eigenes Süpplein kocht, tunlichst darauf bedacht, es mit niemandem zu teilen. S Dass diesem Nahrungsmittel, K wenn auch heimlich, sozusagen hinter vorgehaltener Hand, S vorteilhafte Eigenschaften zugesprochen werden, lässt sich einzig aus der Negation erschließen, wenn einem etwa die „Suppe“ Ä (ein bestimmtes Anliegen oder Vorhaben) S versalzen K (vereitelt) wird, S was schon schlicht dadurch passieren kann, dass einem jemand in die Suppe spuckt. Ä Der Spaß ist auch verdorben, wenn ein Pedant – K oder ein Suppenkaspar - Ä das berühmte Haar in der Suppe findet. S Man könnte die besondere Anfälligkeit von Suppen – S realen wie metaphorischen – Ä für Anschläge auf ihre Integrität allerdings auch als Schwäche deuten.

E Es rächt sich, dass die deutsche Sprache für das wahllose Mischen von Dingen, die nicht zusammengehören, die Wendung „alles in einen Topf werfen“ bevorzugt (das italienische Gegenstück „fare d'ogni erba un fascio“ = K „aus jedem Kraut einen Strauß flechten“ E hält sich wohlweislich fern vom Herd).

K Dass die Suppe wie die Brühe hierzulande als Synonym für alles Trübe und Undurchsichtige dient – S es gibt Nebelsuppen, Lehmsuppen, Schlammsuppen usf. – K kann allerdings auch daher kommen, dass Deutsche generell – Ä und nicht nur SuppenschwabenK ihre Brühe am liebsten „gebunden“ essen – entweder indem sie kräftig Mehl unterrühren oder Kartoffeln darin zerdrücken. S Darum sitzt in der Brühe K (in der Sauce oder in der Tinte, die Franzosen sagen hier dans la purée), S wer sich in eine derart missliche Situation gebracht hat, dass er den Durchblick verliert: K klar wie dicke Kloßbrühe lautet dann die Lagemeldung, Ä und wenn die Neuigkeit an Unbefugte oder gar an die Gegenseite verpetzt wird, heißt es stereotyp, S dass sie brühwarm berichtet wurde. K Wer viele solcher Prüfungen heil überstanden und daraus zumindest gelernt hat, wie sie zu vermeiden sind, darf dann für abgebrüht, wahlweise für hartgesotten gelten. Ä Dazu muss er sich allerdings zuvor tüchtig „verbrüht“ haben, S was allerdings mit jeder Flüssigkeit passieren kann, E wodurch abermals und gleich doppelt die Geringschätzung dieses offenbar hauptsächlich wegen seiner unangenehmen Wirkungen und seiner Austauschbarkeit geschätzten Lebensmittels bezeugt wird. K Dieser Befund erstaunt umso mehr, als Suppen und Brühen durchaus zu den beliebtesten Speisen der Deutschen zählen, die auf keinem Mittagstisch fehlen dürfen. Ä Wie wenig sich dieses gebrochene Verhältnis zu den Hauptnahrungsquellen von selbst versteht, lehrt ein Blick über die Alpen: in Italien lässt man zwar auch Missetäter vorzugsweise im eigenen Saft schmoren E (lasciar cuocere nel proprio brodo), S aber wenn jemand im siebten Himmel schwebt, dann „schwimmt er in Jujubensaft“ E (andare in brodo di giuggiole), S wobei „brodo“ wörtlich und etymologisch der „Brühe“.

S Wo die Suppe schon derart in Misskredit gerät, kann es dem Löffel nicht besser ergehen:

K ausgerechnet das Besteck, mit dem man „aus dem Vollen“ schöpfen kann, Ä das Werkzeug der Fülle und Opulenz, K findet im Deutschen einzig negativen Niederschlag: S vom Rotzlöffel, dem man gern eins hinter die Löffel gibt, wenn man nicht gerade die Weisheit mit Löffeln gefressen hat Ä (was aber auch niemandem recht ist) K bis zum ultimativen den Löffel abgeben, bevor man noch über den Löffel balbiert wird, S reicht die Parade der Ressentiments. Ä Wer dem Verdacht nachgeht, hier werde ein Emblem der Sinnlichkeit metaphorisch denunziert, findet sich in der Etymologie bestätigt, die man über mhd. laffen, leffen für „lecken“ und „schlürfen“ bis zur indoeuropäischen Wurzel *lab, *lap für „schnalzen“, „schlürfen“, „schmatzend lecken“ zurückverfolgen kann.

S Desgleichen landet auch die Sprachgeschichte der „Suppe“ mit althochdeutsch sûfan und mittelhochdeutsch sûfen bei ähnlich ungehobelten Anfängen. K Dass die „eingebrockte“ Suppe, S die man selber „auslöffeln“ muss, K eher einem Schlamassel ähnelt, vervollständigt die mundartliche Verfemung der niederen Instinkte.

Ä Da kann man nur hoffen, einen Sprung in der Schüssel zu haben, damit der unerquickliche Sprachgeist von selbst austriefen kann. S Besser noch, man hat nicht alle Tassen im Schrank Ä oder jedenfalls nicht genug, um derart schwer verdauliche Kost aufzutischen. K Derlei Hoffnungen dürften sich allerdings auch weiterhin als grundlos erweisen. S Denn dass nur zurechnungsfähig ist, wer sein Geschirr vollzählig hält, zeigt überdeutlich an: K in deutschen Küchen herrscht Ordnung, mag am Herd auch alles in einen Topf geworfen werden, was nicht zusammengehört, S was dann den unnachahmlichen deutschen Eintopf ergibt. Ä Nicht zufällig ist die Einbauküche, K mit der auf genormten 6,5 Quadratmetern Margarete Schütte-Lihotzky 1926 in Frankfurt erstmals alle Handgriffe der modernen Hausfrau durchrationalisierte, Ä eine deutsche Erfindung.

S Konnte man bei der Suppe noch einigermaßen plausibel den Übertragungsweg der Redensart zurückverfolgen, Ä so tappt man beim nächsten Gang, S den Nudeln, Ä ziemlich im Dunkeln. K Das fängt schon mit dem Kurzschluss zwischen sprachlichem und biologischem Geschlecht an, S wobei man wohl von Fall zu Fall jeweils entscheiden muss, ob der Vergleich dem Ding oder der Person zur Ehre gereicht. Ä Ob als freche, dumme K oder tolle, kesse S oder versoffene, K als Ulk- oder Betriebsnudel S (dem weiblichen Pendant des „Scherzkeks“):

K stets bleibt die Betreffende Gegenstand des Spotts und das tertium comparationis zu der Teigspeise uneinsichtig: S was ist an Nudeln eigentlich so weiblich und lustig? Ä Was an Frauen so teigig? K Vom Herstellungsvorgang aus plausibel sind hingegen Ausdrücke wie abnudeln, wie genudelt Ä (wie geschmiert) laufen S oder wie durchgenudelt aussehen, E wobei man wiederum vergeblich nach Beispielen für positive Vorstellungsgehalte sucht.

S Stattdessen erinnert das dazu passende Besteck prompt daran, dass jemanden oder etwas aufgabeln zumindest rückbezogen auf den Umgang mit Essen wiederum Achtlosigkeit, E eine eher zufällige Wahl am unpassenden Ort suggeriert, Ä Kraut und Rüben eben.

K Durchgängig verrät die deutsche Sprache eine gewisse Wurschtigkeit gegenüber dem Essen und seinen Ressourcen, S eine Haltung, die allen Globalisierungstendenzen zum Trotz in dem Maße überdauern wird, in dem die zahllosen diffamierenden Ausdrücke von Kind auf eingeübt werden. Ä Und wo den Leuten das Essen letztlich wurscht ist, weil lästige Nebensache, wird McDonald’s auch künftig leichtes Spiel haben, wird man auch weiterhin nach italienischer oder französischer Salami greifen müssen, weil man es der deutschen anmerkt, dass es ihren Produzenten egal ist, was sie darin wie verwursten, K respektive einsacken.

S Die Wurst eignet sich gut dafür, das Verhältnis zum Essen insgesamt zu veranschaulichen, weil sich ihre Bedeutung nicht in dieser einfachen Übertragung erschöpft. E Sie funktioniert – aus Rücksicht auf Darstellbarkeit – auch als metonymische Verschiebung für das, „was hinten rauskommt“. K Wo einem jedoch die Endprodukte der Verdauung buchstäblich „scheißegal“ sind, kann es mit dem oralen Input nicht viel besser bestellt sein. E Undenkbar für Italiener, im Begriff ihres beliebtesten Schimpfworts – stronzoS hier steht das, was hinten rauskommt für, Ä na, sagen wir – S Scheißkerl – K Arschloch – E die eine Sphäre mit der anderen zu kontaminieren. S Und so existentiell bedeutsam die Wendung es geht um die Wurst Ä (in der Hausfrauenvariante: es geht ums Eingemachte) S daherkommt, der Nachklang frühkindlicher Entleerungs-Dramen ist unüberhörbar. E Zur Vervollständigung dieses im Wortsinne „entero-gastronomischen“ Charakters fügt sich noch die Extrawurst, K die Neidvokabel schlechthin, E die stets die Überschreitung des zulässigen Mittelmaßes, K also dessen, „was einem zusteht“ E (nämlich was alle anderen kriegen), anprangert. K Und auch für die Unterschreitung der gebotenen Durchschnittlichkeit gesellschaftlichen Auftretens wird die Wurst in ihrer Fast-Food-Variante bemüht: Ä das Würstchen ist weit weniger als ein armes Schwein, S es ist eine ebenso lächerliche wie vielseitig abwertbare Figur, die gleichsam alle Minusattribute der verschiedenen weiblichen Nudelkonnotationen in sich vereint. E Damit kann das italienische salame! für Tolpatsch nicht konkurrieren, das K (schon aus Respekt vor der Salami) E lediglich die Analogie zur Unbeholfenheit eingesackter und verschnürter Fleischmassen ausspielt und eher einem scherzhaften Rüffel als einer Beleidigung gleichkommt.

 

S Sauerkraut und Rüben,/ die haben mich vertrieben. / Hätt meine Mutter Fleisch gekocht, / wär ich bei ihr geblieben...

Ä Der Kinderreim stammt aus einer Zeit, da Kraut und Rüben an der Tagesordnung, Fleisch hingegen etwas Besonderes, auch Kostspieliges, für viele Unerschwingliches gewesen sein muss. E Vom idiomatischen Gedächtnis dürfen wir also – endlich – eine affirmative Resonanz erwarten. K Wer darauf wettet, schneidet sich jedoch lediglich ins eigene Fleisch – E eine weltweit bestaunte deutsche Sonderform der Autosuggestion. S Die hohe Wertschätzung dieses Lebensmittels beginnt und endet nämlich bei Tisch. Ä Ansonsten fängt man mit Speck allenfalls Mäuse, was den Kohl auch nicht fett macht; S schließlich ist der Spickzettel kein Ruhmesblatt, Ä ebensowenig wie die Duden-Eintragung „reichlich versehen, ausstatten mit“ für spicken, das dann unausweichlich mit dem Fehlerüberschuss bei schriftlichen Erzeugnissen exemplifiziert werden muss, E womit alles über das Verhältnis zu der zugrundeliegenden kulinarischen Praxis gesagt ist.

Ä Nun ist spicken ohnehin passé, niemand fällt heute mehr vom Fleisch, das Problem sind eher zuviele Schinken (dicke Schenkel oder Bücher-„Schwarten“) und zuviele ungenießbare Ölgemälde K – vulgo alte SchinkenÄ in deutschen Wohnzimmern. S Selbst der König jedes Festessens Ä – der Braten – S wird, wenn K (vorzeitig) S gerochen, mindestens zwiespältig und Gegenstand von Ausweichmanövern, Ä wenn er nicht gleich als Teufelsbraten mit dem Bösen schlechthin identifiziert wird. K Hier offenbart sich die gastroidiomatische Verfallslogik als Sonderfall spezifisch deutscher Missgunst, die nichts Außerordentliches gelten lassen mag, S anders auch eine Wendung wie dem Braten nicht trauen nicht denkbar wäre. E Das italienische stufarsi – eine Reflexivbildung von stufare = schmoren spielt demgegenüber lediglich auf die lange Dauer des Vorgangs an und lässt sich am ehesten mit „es satt haben“ übersetzen.

S Wie es dem Steak unter deutschen Händen geht, ermisst man gänzlich erst am übertragenen Sinn von in die Pfanne hauen: Ä wieso wird, wenn man jemanden erledigen will, das Hantieren am Herd bemüht? S Antwort: weil schon dort die ganze Kochkunst sich weniger um die Veredelung als um die Vernichtung eines Objekts dreht. E Ein entferntes Äquivalent im Italienischen lautet sono fritto K (wörtlich: „ich bin gebraten“) E und meint soviel wie „ich bin geliefert“. Der Ausdruck kommt nur selbstbezüglich zur Anwendung und benennt ohne bildliche Umschweife präzise einen irreversiblen Endzustand.

K Warum die deutsche Hauptbeilage nicht nur von Fleischgerichten - die Kartoffel - nur wenige Eintragungen im Sprüchekatalog verzeichnet und obendrein recht glimpflich wegkommt, gehört zu den Rätseln deutscher Küchenidiomatik, die wir später lösen werden. Ä Immerhin lässt ein Opportunist schon mal seinen besten Freund wie eine heiße Kartoffel fallen, K und jeder hat schon zu seinem Ärger beobachten können, wie der dümmste Bauer die dicksten Kartoffeln findet, Ä aber das sind vergleichsweise kleine Kartoffeln oder auch kleine Fische. S Und weil Deutschland keine Nation von Fischern und Seefahrern ist, beschränkt sich der phraseologische Fischbestand auf den Hecht im Karpfenteich, der meistens ein aalglatter Geschäftsmann oder Rechtsverdreher, Ä gelegentlich auch ein dünner Hering ist. K Und so unverdächtig der Vergleich wie ein Fisch im Wasser schwimmen daherkommt, so ärgerlich ist die Analogie zum Fisch, der vom Kopf her stinkt.

Ä Das Ei wiederum ist nicht Fisch noch Fleisch, kriegt aber trotzdem sein Fett ab: seine Metamorphosen reichen von faulen über dicken bis hin zu dummen, ungelegten oder schlimmer noch Kuckuckseiern. E Und auf die Idee, man könnte, und sei es bildlich, auf Eiern gehen, können nur Tolpatsche oder Vandalen kommen. K Einen feinen Unterschied machen Adoleszenten im übrigen zwischen herumeiern für um den heißen Brei reden und herumgurken für eine Fahrweise auf zwei bis vier Rädern, die sich nicht ganz an die Erfordernisse des Straßenverkehrs hält und darauf schließen lassen könnte, dass die Protagonisten Tomaten auf den Augen haben. Ä Auch hier fehlt ein nachvollziehbares Übertragungsmotiv, ähnlich wie für die Sauregurkenzeit, die immerhin kalendarisch mit dem „Sommerloch“ zusammenfällt. E Zum Vergleich bietet sich im Italienischen allenfalls der Fenchel – finocchio – an, über den Sprachforscher seit geraumer Zeit rätseln, wie er (im Italienischen) zum Synonym für „Tunte“ avancieren konnte (es gibt ein Dutzend Erklärungsversuche, einer so unbefriedigend wie der andere). S Zu trauriger Berühmtheit hat es die Gurke mittlerweile dank der EU-Verordnung zur Festlegung ihres zulässigen Krümmungswinkels gebracht, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich der Ausdruck Gurkenverordnung für absurde Verwaltungsmaßnahmen allgemein durchsetzen wird. Ä Auch angesichts solcher bürokratischer Exzesse dürften nicht wenige die französische und holländische Absage an die EU-Verfassung mit einem da haben wir den Salat kommentiert haben.

S Wenn wir jetzt nach mediterraner Sitte vor dem Dessert nach dem Obst greifen, so wird uns auch das vom Volksmund prompt vermiest: Ä wir beißen natürlich in den sauren Apfel (wenn wir es nicht gerade mit einem faulen „da-ist-der-Wurm-drin“ Apfel zu tun haben), K als gäbe es im Leben nicht auch Anlässe, sich S (mit Obst) K auf eine angenehme Aufgabe einzulassen;

Ä wer nix in der Birne hat, S sozusagen eine taube Nuss ist, Ä kriegt schon mal eins auf die Nuss K (wahlweise auf die Rübe) S oder wiederum auf die arme Birne: Ä dann hat man entweder vor Kopfschmerzen eine dicke Birne oder gleich eine weiche Birne, weil man vor lauter Draufschlagen blöde geworden ist. E Auch dieser Affront gegen die süsse Kernobstfrucht par excellence (trotz Fontane) ein Casus belli zwischen Deutschland und Frankreich. K Leute, mit denen man nicht gut Kirschen essen kann, sollte man besser nicht veräppeln und schon gar nicht anpflaumen. Ä Besser, man schmiert ihnen Honig um den Bart. S Manchmal hilft das auch nicht weiter, dann spricht man K – ebenso wie bei schwierigen Problemen - Ä von einer harten Nuss, die erst noch geknackt sein will. E Mit anderen Worten: phraseologisch hängen die Trauben stets zu hoch oder zumindest höher, als für eine lustvolle Beziehung zum Obst allgemein gut ist. K Das bedeutet nicht, dass Deutsche nicht gern Obst essen würden, S sondern lediglich, dass sie es fertig bringen, das, was sie gerne essen, zugleich insgeheim zu verachten, K so wie man gern Rosinen mag und es doch verwerflich findet, wenn sich jemand die Rosinen aus dem Kuchen pickt Ä oder Rosinen im Kopf hat.

S Oder wie „man“ gern mit einer Frau schläft und doch nichts dabei findet, ein missliebiges männliches Gegenüber, das nicht die erwünschte maskuline Härte an den Tag legt, als Pflaume zu verhöhnen, E mit einem Ausdruck also, der eindeutig und abwertend auf das weibliche Genital verweist. In solchen Fällen dienen idiomatische Floskeln offenbar dazu, die Verdrängungsroutinen einzurichten und aufrechtzuerhalten, die notwendig sind, den Subjekten das Ambivalente ihres Verhaltens gar nicht erst bewusst werden zu lassen.

Ä Wem am Ende unseres phraseologischen Menüs noch nach einem würdigen Dessert zumute ist, der könnte schon über die unscheinbare Bezeichnung Nachspeise ins Grübeln kommen, die ein letztes Mal überdeutlich den protestantischen Ungeist serviert, der „Speisen“ auf die fürs schiere Überleben unumgänglichen Rationen reduzieren möchte und alles Süsse in ein „Danach“, S ein veritables Jenseits verbannt, Ä das nicht mehr zur Speisenfolge sensu stricto gehört K (und ursprünglich wohl als Belohnung für braven sonntäglichen Kirchgang gedacht war). S Wenn man sich in diesem Ungeist dennoch einen Nachtisch genehmigt, K dann kommt nur eine Kaltschale infrage: S ein Wort wie aus einem Labor für Festkörperphysik; Ä Kantinendeutsch, das einem fürwahr das Wasser im Mund gefrieren lässt.

E Kann ein Dessert gleichgültiger, bürokratischer benannt, S pardon „erfasst“ werden? K Und ausgerechnet Götterspeise soll dieses Konstrukt dann enthalten, die dreisteste Übertreibung der Wort-und-Kochgeschichte, wenn man sich das gelatinierte Zuckerwasser mit Farbstoff und Spurenelementen von Fruchtsaftkonzentrat samt seiner wabbligen Konsistenz und vollendeten Geschmacksneutralität vergegenwärtigt. E Da greifen wir doch lieber nach einer Zabaione, am besten mit Marsala – K doch halt: ist die uns nicht längst durch die Schaumschlägerei verleidet?

 

S Ein Gramm Theorie ist manchmal besser als zwei Pfund Empirie

frei nach und gegen John Dewey

S Soviel schwere KostÄ wahrlich kein ZuckerschleckenS ruft nach dieser transzendentalidiomatischen Durststrecke zwangsläufig entlastende Verdauungsargumente auf den Plan: K etwa dass hier eine Ansammlung vereinzelter Beispiele ohne systematische Aussagekraft geboten würde; S dass beim Gebrauch dieser Redewendungen kaum noch jemand an ihre wörtliche Bedeutung, den dazugehörigen Referenten oder gar die historische Genesis denkt; Ä und dass man sich bei entsprechender Nachforschung auch einen ganz anderen Gang durch die gastrosophische Metaphorik vorstellen könnte. E Nun, was Letzteres betrifft, so fordere ich jeden heraus, den Beweis anzutreten; für die Widerlegung des ersten Arguments, nennen wir es den Kontingenzverdacht S – so eine solche nach den bisherigen Zumutungen wirklich vonnöten ist – E seien in der gebotenen Kürze eines Essays zwei Beobachtungen angeführt.

K Erstens: nicht diese oder jene vereinzelte Speise ist im Deutschen Gegenstand idiomatisch fragwürdiger Übertragungen, sondern fast alle gängigen Lebensmittel, viele Gerichte und darüberhinaus die Grundlagen und Modalitäten des Essens sowie seine begrifflichen Variationen selbst. Ä Bekommt man etwas aufgetischt K (oder aufs Brot geschmiert, brühwarm serviert), Ä sind es stets Unannehmlichkeiten; K wird man abgespeist, so stets mit einem Hungerlohn oder anderen würdelosen Gaben.

S Hat jemand etwas verbrochen, so sagt man scherzhaft zwar, E aber doch bezeichnend, S er habe etwas ausgefressenÄ oder vornehmer angerichtetS und wem die Lust abhanden gekommen ist, eine Sache weiterzumachen oder überhaupt erst anzufangen, wird sich ein mir ist der Appetit vergangen nicht verkneifen. E Kein größerer Gegensatz wäre denkbar als das elegante Credo des französischen Hedonismus l'appétit vient en mangeantS der Appetit kommt mit dem Essen – E der den deutschen Genius – hier in Gestalt Heinrich von Kleists – zu der bezeichnenden Transformation inspirierte: l’idée vient en parlant – die Gedanken kommen beim Reden.

K Man könnte auch übersetzen: deutsche Kultur findet am Schreibtisch, nicht am Esstisch statt. Induktionsbedingte Überraschungen lässt der deutsche Geist zwar zu, aber nur solange sie nicht das Leibeswohl betreffen. Ä Hier verdient Appetit lediglich als Vorbote heftigerer Begierden Beachtung, und zwar eine, die es am besten im Keim zu ersticken gilt. S Wer sich dennoch den Appetit nicht verderben lässt und sich auf eine schwierige Aufgabe – oder zumindest eine, deren Risiken nicht zu überschauen sind – einlässt, wird seinem Misstrauen, K ja seinem Missfallen S mit einem das schmeckt mir nicht oder die Sache schmeckt mir nicht Ausdruck verschaffen E (auch hier fehlt selbstredend das positivierende Analogon); K und sollte am Ende doch nur ein Scheitern zu konstatieren sein, Ä womöglich eines, für das man nicht einmal selbst verantwortlich ist – E es ging einfach alles „schief“ -, K wird man den abschließenden Stand der Dinge mit einem ich bin bedient S oder zumindest für heute bin ich bedient K quittieren.

Ä Für besonders eindringliche Behandlungen empfiehlt sich der Ausdruck jemanden weichkochen S (oder zermürben), Ä vorausgesetzt man sitzt nicht gerade selber auf dem Präsentierteller, S wie auch sonst die Gauner- und Inquisitorensprache nur so gespickt ist mit Metaphern aus der Gastronomie E (hartgesotten, abgebrüht usw., hatten wir schon). K Wenn es in der Küche qualmt, herrscht natürlich nicht Hochbetrieb am Herd, sondern Streit im Haus, E wie man überhaupt nur in Teufels Küche kommt, niemals in jene Gottes, und Küchenlatein keineswegs für gelehrte Fachterminologie steht, sondern für das Gesülze von Ungebildeten. Während hierzulande viele Köche (ungeachtet wohlgemeinter Fernsehshows) nach wie vor den Brei verderben, würdigen Italiener umgekehrt die Kunst des Kochens indirekt, indem sie cucinare in tutte le salse K (wörtlich: mit allen Saucen kochen) E für „in allen Farben schildern“ verwenden. Ä Den traurigen Tiefpunkt deutscher Esskultur-Analogien dürfte allerdings der zweckentfremdete Tischgruß bilden, mit dem eine angerichtete Bescherung, S also ein Schlamassel Ä quittiert wird K (und die eigene Ratlosigkeit dazu): Na, dann prost Mahlzeit!

S Die zweite Beobachtung zur Widerlegung des Kontingenzverdachts wurde schon verschiedentlich vermerkt, K sie betrifft die Sonderstellung der deutschen Phraseologie. Ä Ein Blick über die Sprachgrenze offenbart für Frankreich und Italien einen eklatanten Mangel an Redewendungen, die auf Speisen und Küchenpraktiken zurückgehen S und überdies kaum solche pejorativen Inhalts. E Im Italienischen genießt bezeichnenderweise einzig der Kohl – „cavolo“ – einen derart schlechten Ruf, dass er sich gleich für ein ganzes Bündel von Schimpfwörtern qualifizieren konnte: vom schlichten Ausruf cavolo! für „Mist! Scheiße!“ über che cavolo è questo? – K „was soll der Quatsch?“ – E und non me n'importa un cavolo: Ä „das ist mir wurscht“; E bis hin zu non ce ne capisco un cavolo: S „ich verstehe nur Bahnhof“; E und nicht zu vergessen die berühmte testa da cavolo für „Dummkopf“ und der Vergleich ci sta come i cavoli a merenda - S das passt wie die Faust aufs Auge, K wörtlich „wie Kohl zur Vesper“.

Ä Schon beim zweiten und letzten Kandidaten, E dem pasticcio – Pastete oder Auflauf – Ä liegen die Dinge etwas vertrackter. S Nicht nur taucht die angeblich übertragene Bedeutung von jenachdem Ungeschick, Pfusch oder Patsche als historisch erste auf (bei Aretino 1525, zehn Jahre vor der ersten überlieferten Kulinarie gleichen Namens); E es gibt, vermittelt durch die Ableitung aus pasta K (ursprünglich griechisch einfach ein Gemisch aus Wasser und Mehl) E einen Beiklang des Mischens, Verrührens und Durcheinanderbringens (eben impastare), der den beliebten Wendungen cacciarsi in un pasticcio S (in einen Schlamassel geraten), E essere nei pasticci Ä (in der Patsche sitzen) E und erst recht dem pasticcione K (der von so rechtsförmigen Ausdrücken wie Schwindler oder Pfuscher nicht angemessen wiedergegeben wird) E einen gewissen Unernst verleiht: die Gemengelage ist undurchsichtig und klebrig, aber gerade deshalb nicht hoffnungslos. K Die Franzosen hingegen bleiben ihrer traditionellen Hochschätzung der Pastete auch hier treu, zeichnen mit une bonne pâte sogar besonders gutmütige Naturen aus.

E Auf der anderen Seite verzweifeln Übersetzer immer wieder an der Fülle von Primärausdrücken für Aromen, Gerüche, Geschmacksnuancen, Zubereitungen, Ingredienzien etc., für die es im Deutschen kein Äquivalent gibt. S Die Schlussfolgerung scheint legitim, dass die Elaboriertheit einer Ess- und Geschmackskultur und die Bedeutung, die diese im Leben der Menschen einnimmt, sich umgekehrt proportional zur umgangssprachlichen Übertragung ihrer Charakteristika verhält. K Für diese These lassen sich leicht weitere Belege anführen. E So fehlt im Italienischen wie im Französischen die implizite Gleichsetzung von Lebensmitteln mit wertlosen, nichtigen Dingen, welcher die deutsche Umgangssprache zahllose Redewendungen und Routineformeln verdankt. Ä Etliche wurden schon genannt, vom Brot über Quark und Käse bis hin zur Suppe; S es trifft aber auch Eier, Äpfel, Brot und Bohnen K (für´n Appel und´n Ei, für ein Ei und ein Butterbrot (ver)kaufen; nicht die Bohne verstehen) S und sogar den mittlerweile kulinarisch geschätzten Pfifferling, der immer noch bemüht wird, um die Nullstufe jedweder Preisvorstellung zu illustrieren (keinen Pfifferling wert sein). K In Frankreich hat man zwar dem Rettich diese Rolle zugedacht (cela ne vaut pas un radis), hält sich aber in der Regel an den Pfennig (cela ne vaut pas un sou). E Aus dem Süden Italiens ist non valere un fico bekannt, wohl aus einer Zeit, da man Feigen überall am Straßenrand pflücken konnte; von Rom ab nordwärts ist allerdings die weitaus passendere Analogie zur Zigarettenkippe – non valere una cicca – gebräuchlich. Ä Dass den Deutschen das Essen nicht viel wert ist – K oder zumindest weniger als für eine sinnlich erfüllte und gesunde Lebensführung gut ist – Ä wird im übrigen von der Statistik bestätigt: nach wie vor geben sie im Durchschnitt gerade mal 12% ihres Einkommens dafür aus, E ungefähr halb so viel wie Italiener oder Franzosen, Ä wobei für zwei Drittel der Deutschen der Preis wichtiger ist als die Qualität!

S Das wird niemanden verwundern, der sich die – etymologisch unzulässige, aber praktisch und historisch bewährte – Überlagerung von Verpflegung und pekuniärem Aufwand im Begriff der Kost vergegenwärtigt: Ä hier wird das Essen schon terminologisch den lästigen Ausgaben, nicht dem Gewinn, K etwa dem Lustgewinn zugeschlagen. S Wer aber stets auf die Ausgaben achtet, kann folgerichtig keine andere Einstellung als die eines Kostverächters entwickeln, K der letztlich nur durch Spareffekte auf seine Kosten kommt.

E Vergleicht man die Tischsitten in den drei Ländern, so fällt auf, dass in Italien und Frankreich das Essen während der Mahlzeit auch bevorzugtes Thema der Unterhaltung ist, was der geselligen Tafel nicht selten den Charakter eines Forums mehr oder weniger eitler Expertenmeinungen verleiht und die Nahrungsaufnahme unmerklich in einen auch geistigen Akt verwandelt. K Die Inszenierung wertet das Essen auf, wodurch etwaige Übertragungsgelüste offenbar gar nicht erst aufkommen. Ä Schon Kinder erleben auf diese Weise den Zusammenhang von Redens- und Essensgenuss, verleiben sich Worte wie Kulinaria und Bissen wie Bedeutungsträger ein. S Solch eine Tischgesellschaft nimmt auf diese Weise tagtäglich an einer durchaus heidnischen und anthropologisch älteren Kommunion von Wort und Fleisch teil, als es die christlich-platonische Inkarnationslehre mit ihren hilflos-zwanghaften Tischgebeten zu etablieren versucht hat. E Die These von der umgekehrten Proportionalität lässt sich dahingehend variieren: Je mehr in einer Sprachgemeinschaft offen und unmittelbar übers Essen geredet wird, desto höher scheint sein Stellenwert, desto untauglicher der Gegenstand für Übertragungen und Projektionen.

K An deutschen Tischen hingegen wird beim Essen nicht nur wenig geredet, sondern auch selten übers Essen: Ä damit bleibt diese wesentliche Grundlage unserer psychophysischen Existenz an den Katzentisch einer schieren Banalität verbannt, S einer biologischen Pflicht, der man sich „irgendwie und sowieso“ zu entledigen hat. K Entsprechend wird mit geschmäcklerisch abgestraft, wer höhere Ansprüche an Gerichte stellt, als Supermarktregale befriedigen können, Ä während kulinarisch ein hedonistisches Verhältnis zu Kulturgütern allgemein als oberflächlich denunzieren soll.

S Lutz Röhrich, dessen „Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten“ als kundigster Führer durch Entstehungsgeschichte, Bestand und aktuellen Gebrauch deutscher Redewendungen gelten darf, ist es immerhin auch aufgefallen, Ä „dass Redensarten häufig in negativen Konnotationen vorkommen: K Kommentar, Kritik, Karikatur dienen vorzugsweise einer negativen Charakteristik“. S Und wenn er diesen Umstand der „Natur der phraseologischen Ausdrucksweise“ zuschreibt, möchte man ihm gern zustimmen und hinzufügen, dass viel Kritisches sich leichter E (und kürzer und prägnanter) S indirekt, E durch die Blume S oder das Vexierglas einer Metapher sagen lässt, Ä dass Redewendungen sowohl die Schwelle der kritischen Äußerung herabsetzen als auch die Akzeptanz der Aussage bei den Adressaten oder Gesprächspartnern erhöhen. K Doch fehlt es an einer vergleichbaren Fülle linguistischer Miesmacher in anderen Sprachen: S im Motzen, Nörgeln, Jammern, Lästern und ´Runtermachen scheinen die Deutschen unangefochtene Weltmeister zu sein.

E Strenggenommen funktionieren die meisten Essensmetaphern im Deutschen wie Schimpfwörter nach dem Muster von Spaghetti für Italiener, Chopsuey für Asiaten oder Knoblauchfresser für alle Südländer und Orientalen. Ä Mit Blick auf den früher bei Amerikanern beliebten Spottnamen Krauts für Deutsche bemerkt der Tübinger Volkskundler Hermann Bausinger:

S „Gemeinsam ist solchen Bezeichnungen von außen, dass Nahrungsmittel gewählt werden, die in der eigenen Kost keine oder eine nur untergeordnete Rolle spielen, die aber in der so etikettierten Bevölkerung sehr verbreitet sind. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass eher simple Grundnahrungsmittel für die Bezeichnungen herhalten müssen.“

E Was ergibt sich aber aus dieser Argumentationslogik, wenn weit verbreitete „eigene“, sprich „deutsche“ Speisen für abfällige Kennzeichnungen herhalten müssen? K Beschimpft wird in letzter Konsequenz immer die ungeliebte Trias von Lebensmitteln, Kochen und Essen selbst. Ä Es ist die gleiche Selbstzerfleischung, die traditionell schon aus Nationaltrotz auf jegliches Raffinement bei der Speisezubereitung verzichtete. E Nochmals Bausinger:

S „Das Bekenntnis zum einfachen Mahl blieb lange Zeit antifranzösisch und stand im Zeichen nationalen Selbstbewusstseins. Im Nationalsozialismus wurde das einfache Essen zum Kult erhoben... Im Jahr 1933 wurde der Eintopf’ zum Symbol der Volksgemeinschaft; die von oben dekretierten Eintopfsonntage sollten alle Volksgenossen vereinen.“

E Bausinger irrt allerdings, wenn er die Vorliebe fürs Einfache, Derbe und Deftige für überwunden hält. Nach wie vor beherrschen Eintöpfe und andere schwer definierbare Amalgame die Abspeisungspraxis deutscher Mensen und Kantinen, man lese hierzu Klaus Stillers nur vordergründig satirische Phänomenologie des Eintopfs.

K Die Deutschen trinken sozusagen jedes Gewächs mit dem gleichen Vergnügen. Ihnen kommt es mehr darauf an, es durch die Gurgel zu jagen, als es zu schmecken.

E Montaigne, Über die Trunksucht.

S Mit der Abneigung gegens Raffinierte Ä oder wenigstens Elaborierte S geht eine weitere Eigentümlichkeit deutschen Konsumverhaltens einher: E der naive Hegelianismus, der von einer hinreichend großen Quantität auf die Qualität des Verabreichten schließen will.

K Davon kann jeder ein Leid klagen, der sich in einem „typisch deutschen“ Gasthaus, besonders auf dem Lande, verirrte oder bei einem der zahllosen „Italiener“, die aus Beflissenheit deutschen Kunden gegenüber mit Portionen aufwarten, auf die man transalpin mit jener Mischung aus Staunen und Abscheu zu reagieren pflegt, die schon Tacitus in seinen Beschreibungen germanischer Trinkgelage nicht unterdrücken konnte. Ä Der Triumph von Quantität über Qualität oder von Maßlosigkeit über homöostatischen Genuss ist andererseits eine Grundbedingung deutscher Geselligkeit. S Der Alkoholrausch muss an gemeinschaftlicher Verbindung stiften, was vom Essen nicht erwartet werden kann, E da es weder eine Kultur der Kennerschaft noch eine der entsprechend raffinierten Speisezubereitung gibt. K An der anderswo unbekannten Sitte, auf alles Erdenkliche anzustoßen, was mit Essen und Trinken nichts gemein hat, erkennt man wiederum die Geringschätzung des Essens und die Instrumentalisierung des Alkohols, Ä während der unübersetzbare Ausdruck bierernst etwas von der deutschen Unart verrät, über den Durst zu trinken.

S Denn Bier macht nur kurzfristig beschwingt und fröhlich Ä – bierseligS sehr schnell schließen sich, wenn man weitertrinkt, die Rezeptoren und man fällt in einen dumpfen, humorlosen Zustand, der jederzeit in Aggression umschlagen kann. K Diese Schwelle ist bei Bierzechern in der Regel auch eher erreicht als bei Weintrinkern, weil man den Gerstensaft gern außerhalb der Mahlzeiten trinkt und der Hopfen vernebelnd aufs Gemüt schlägt.

S Spätestens dann ist der Reim von Saft auf Kraft vergessen, Ä wird es Zeit, den Saftladen zu verlassen K (oder niederzugrölen).

E Abgang Eins: Vertikalprobe

K Redensarten, Redewendungen, Idiome, Routineformeln, Floskeln, Abtönungspartikel – E sie alle bilden das, was die Linguistik den idiosynkratischen Bestand einer Sprache nennt. S Gemeint sind Begriffe und Ausdrucksformen, die abweichend von ihrer eigentlichen Bedeutung verwendet werden und deren Funktionsweise sich somit einer Bestimmung nach allgemeinen Regeln entzieht.

Ä Idiosynkratisch sind sie darum auch im präzisen Sinn einer Überempfindlichkeit, gar einer Resistenz gegen die Übersetzung in eine andere Sprache. K Das ist ein untrügliches Indiz dafür, dass sie – gerade aufgrund ihrer grammatischen Anomalie E (und natürlich ihrer lexikalischen Eigentümlichkeit) – K am engsten mit Mentalität und Lebensform ihrer Benutzer liiert sind E (eine Liaison, die zumindest Muttersprachlern den analytischen Zugang zu erschweren scheint, anders die auffällige Forschungsabstinenz auf diesem Gebiet nicht zu erklären wäre). Ä Und dass es daher legitim ist, ihnen – E wie hier geschehen – Ä nicht nur symptomatischen, sondern auch regulativen Charakter zuzuschreiben, K regulativ im Sinne der anzunehmenden Rückkopplungseffekte von der Verwendung übertragener Bedeutungen auf die Bewertung ihres Entstehungsmilieus.

S So gesehen eröffnet dies einen Königsweg zur Darstellung (und Kritik) einer Mentalität oder eines Nationalcharakters. K Ganz im Sinne von Wittgenstein, der Sprachspiele“ als Einheiten von Sprach-, Handlungs- und Lebensformen definiert und daraus gefolgert hatte: Ä „Eine Sprache vorstellen heißt, sich eine Lebensform vorstellen.“ E Quod erat demonstrandum.

S Abgang Zwei: Horizontalprobe

K Der Magen knurrt jetzt wieder und ungeachtet dieses – E wie sollte es anders sein – K wenig schmeichelhaften Vergleichs unseres Zentralkraftwerks mit einem bissigen Köter kommt der Verfasser zum Ende, E das heißt zum Anfang zurück. Bereits ein Vierteljahrhundert bevor Feuerbach seine Paracelsus-Lektüre in dem berühmten Spruch zusammenfasste, hatte Brillat-Savarin dekretiert:

K „Dis-moi ce que tu manges, je te dirai ce que tu es“, E was meistens fälschlich übersetzt wird mit: „Sage mir, was du isst und ich sage dir, wer du bist“, Ä wo es heißen muss, „was du bist“. K Während man den Franzosen getrost unterstellen darf, dass sie aus Gründen sprachlicher Ökonomie alle Modalitäten der Zubereitung und Verkostung im „ce que“ mitgedacht haben, liegt es hingegen nahe, dem Feuerbachschen „Was“ einen kruden Substantialismus zu bescheinigen. S Der Satz, dass der Mensch ist, was er isst, kann zumindest im deutschsprachigen Kulturkreis auch weiterhin eine gewisse Geltung beanspruchen, insofern er in nuce die für sie typische Missachtung aller Form- und Stilfragen der Alltagskultur formuliert. E Nach wie vor herrscht hier das Was über das Wie; K darum, und weil deutsch sprechende Menschen das Essen ständig idiomatisch im Mund führen, um ganz andere Dinge zu bezeichnen Ä (die ohne die sinnfällige Essensmetaphorik im übrigen recht blass blieben), K steht zu befürchten, dass sie während des Essens selbst nie so ganz bei der Sache sind. E Das gastrosophische Axiom muss also dahingehend ergänzt werden: S Der Mensch ist nur insofern, was er isst, als er isst, was er spricht.


Alles Käse? Eh Wurscht
Vom traurigen Dasein des Essens in der deutschen Sprache
Feature von Daniele Dell’Agli
Bearbeitung: Ulrich Gerhardt

Mit:
Friedhelm Ptok
Renée Zucker
Ingo Hülsmann und
Daniele Dell’Agli


Ton: Thomas Monnerjahn
Regieassistenz: Karena Lütge
Regie: Ulrich Gerhardt
Produktion: Deutschlandradio Kultur 2006


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