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SPranto
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Wolf Schneider
Nachruf aufs Esperanto
(1994)

ES IST STILL GEWORDEN um die Welthilfssprachen, die ein paar versponnene Köpfe am Schreibtisch ersonnen haben. Unter dem Dutzend, von denen man weiss, war das Esperanto die bekannteste, von dem polnischen Augenarzt Ludwig Zamenhof 1887 konstruiert. Stalin wie Hitler nahmen es wichtig genug, um es zu verbieten, so widerlich fanden sie seinen am lautesten herausgestellten Vorzug, die wahre Internationalität; und in den fünfziger Jahren gab es keinen grösseren Kongress, bei dem nicht mindestens ein Teilnehmer forderte, die Diskussion in Esperanto fortzusetzen.

Woher kommt es, dass man die Kunstsprachen wohl allesamt für tot erklären darf — obwohl sie doch so durchschlagende Vorzüge haben: den logischen Aufbau, die simplen Regeln ohne Ausnahmen und eben die Unabhängigkeit von einer imperialen Macht? Vermutlich daher, dass sie allesamt an drei Schwächen kranken, Esperanto noch an einer mehr.

Keiner Nationalsprache die Weltgeltung gönnen — das hört sich hübsch an und ist zugleich der drastischste Nachteil der Kunstsprachen. Denn immer nur durch Vorherrschaft sind Weltsprachen entstanden, Griechisch und Lateinisch, Arabisch, Spanisch und Französisch — durch militärische, wirtschaftliche und kulturelle Übermacht. Das Englische aber trifft ins Zeitalter der erdumspannenden Kommunikation, Amerika kann seine Filme, Serien und Schallplatten bis zu den Fidschi-Inseln jagen. Von Österreich bis Island werden Schlager englisch gesungen und wissenschaftliche Aufsätze englisch publiziert. Noch nie war der Bedarf an einer Kunstsprache so gering.

Zum Siegeszug des Englischen hat ein Unterschied zu allen früheren Weltsprachen beigetragen: seine für den Ausländer überaus erfreuliche Armut an Flexion. In keiner anderen Kultursprache wird so wenig konjugiert und dekliniert, in keiner anderen also wird man so selten durch das Ärgernis behelligt, beim Sprechen grübeln zu müssen, ob hier ein n, dort ein s anzuhängen ist, und nur geschrieben oder auch gesprochen?

Auf diesem Feld hat das Esperanto jene Torheit begangen, die es gegenüber den anderen Kunstsprachen zusätzlich in Nachteil bringt: Es verlangt eine komplizierte Deklination unter Einschluss des Adjektivs. Ili amas liajn bonajn amikojn heisst nichts anderes als They love their good friends. Gemeinsam ist dem Esperanto mit allen anderen Kunstsprachen, die je zusammengebastelt werden könnten, dass ihnen ausser der Macht auch die Wärme fehlt, und selbst ihre strikte Logik geht uns im Grunde auf die Nerven.

Kunstsprachen bieten keine Kinderlieder und keine Verse an, keine Flüche, keine Witze, keine Redensarten. Ihre Wörter sind eindeutig und folglich einschichtig, sie haben keine Aura und keine Tiefe. Was schwingt nicht alles in einem prallen Wort wie Mutter mit: liebende Mütter und Rabenmütter, Stiefmütter und Schwiegermütter, Mutter Courage und Mutter Teresa, die Muttersprache und der Mutterboden, Hitlers Mutterkreuz und seit der Drohung Saddam Husseins »die Mutter aller Schlachten«! Selbst in diesem uralten Schlüsselwort ist also Bewegung, es lebt, changiert und ruft immer neue Emotionen wach.

Solche Lebendigkeit rührt nun gerade davon her, dass das Wort WMutter« mit der Logik nicht oder nur zum Teil zu fassen ist. Selbst dort aber, wo man die Eindeutigkeit und Regelhaftigkeit bejahen müsste, in der Wissenschaft, ergäben sich Probleme. Da stellte 1906 der amerikanische Pfarrer Edward Foster die Kunstsprache Ro vor, die das Entzücken aller Philosophen hätte sein müssen; Descartes und Leibniz träumten von dergleichen. Foster teilte den Wortschatz in siebzehn Gruppen ein, die mit siebzehn verschiedenen Konsonanten beginnen: alle Gegenstände mit b, alle Tiere mit m. Die Säugetiere setzen sich mit ma fort, die Huftiere mit mam, die Einhufer mit mamb, und nachdem der Leser Buchstabe um Buchstabe zur niedrigeren Ordnung geführt worden ist, stösst er auf mamba das Pferd, mambi das Zebra, mambe der Esel.

Doch eben dieses eindrucksvolle Sprachgebäude würde sich in der Praxis als Kartenhaus erweisen. Angenommen, Zoologen diskutierten über Pferde, Esel, Maultiere und Zebras. Dass die vier nahe Verwandte sind, weiss ohnehin jeder Beteiligte; vor akustischem Missverständnis aber ist er durch den völlig unterschiedlichen Wortklang geschützt. Müsste man in dieser Runde dagegen von mambas, mambis, mambos und mambes sprechen, so würde es zu unzähligen Rückfragen und Verwechslungen kommen. Es ist also praktisch, die biologische Nähe nicht in eine Ähnlichkeit des Wortbilds zu übertragen — wie umgekehrt noch kein Ornithologe, der vom Strauss sprach, in seinen Zuhörern die Vorstellung Blumen, Johann, Richard oder Franz Josef hervorgerufen hat. Unlogisch, schillernd und ewig bewegt, so sind die lebenden Sprachen, und eben dies macht sie liebenswert und für die meisten Lebenslagen tauglich.

Mit dem doppelten Boden der natürlichen Wörter ausdrücklich zu spielen gehört zu unserem grössten Sprachvergnügen, nach dem Muster: »Man tagt und tagt, aber es dämmert keinem« oder »Die Anziehungskraft der Erde lässt allmählich nach« oder »Man wähle von zwei Politikern das kleinere«, und ein Esperanto, das uns nötigte, das Wort »Übel« hinzuzufügen, verdürbe uns das Spiel. Ruhet sanft, ihr Inrerlinguas und Volapüks; die Sprache, sie ist nicht so.

NZZ-FOLIO • Oktober 1994

Blason
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